Thailändisches Tagebuch

DelausReiseblog, ThailandReportagen

 

Quer durch Thailand

 

2003, 7. Dezember, Freitag, Ayutthaya

 

Gut geschlafen. Abends drei Mekongwhisky. So heißt ein thailändischer Weinbrand, gemischt mit Coca Cola ist er trinkbar. Dodo, der Reiseleiter, ist gnädig. Es geht heute nicht schon 7.15 Uhr weiter, sondern erst acht Uhr. Es gab Protest wegen des frühen Aufstehens, und Dodo war beleidigt. Dodo ist Frühaufsteher. "Es gibt viel zu sehen", verteidigte er das frühe Aufstehen. Der Junge ist empfindlich.

Von wegen und asiatische Gelassenheit. Er fing sich wieder. "Wie Sie wollen", sagte er.

Ajutthaya ist das Ziel. Macht und Glanz, Elend und Niedergang, dafür steht Ayutthaya. Heute ist Ayutthaya eine Provinzstadt, ca. 60 000 Einwohner.

 

Einfahrt. Drei Flüsse umspülen die Stadt. Kümmerliche Ruinen und verfallene Mauern erinnern an einstige Größe. Ayutthaya war die zweite Hauptstadt. 417 Jahre lang war sie die Königsstadt des Siam-Reiches, 33 Könige regierten hier, 375 Tempel befanden sich auf seinem Areal, 94 Tore gewährten Einlass. 1767 zerstörten burmesische Heere die Stadt. Sie schleppten das Gold und die Edelsteine davon und zerstörten die Tempel und Tore. Kenner meinen, dass die Thai diese Zerstörung den Burmesen bis heute nicht verziehen hätten. Die Siamkönige kehrten nicht wieder nach Ayutthaya zurück. Bald holte sich der Dschungel die Stadt. Sie verschwand. Dodo sagt: "Morgen erleben Sie etwas Großartiges, den Sommerpalast der Könige. Er ist einer der schönsten in Thailand, wenn nicht der schönste überhaupt."

 

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Fahrt über Dörfer. Viele Häuser stehen tatsächlich auf Pfählen. Rollläden verschließen meist die Fenster, die nicht verglast sind. Üppige Bananenstauden in Gärten. Die Früchte sind klein. Sie schmecken sehr süß. Auf einem Hügel ein Buddha, weiß. Und immer wieder die grellbunten Chedis, die Totenhäuschen.

 

Abends roter Himmel. Hohe Bambusbüsche rauschen. Das Essen ist köstlich, Reis, Nudelsuppe und Huhn, herrliche Gewürze, Chata, Chili. Salate, Früchte, Fisch. Die grünen Palmen und Reisfelder verlieren ihre Konturen. Es ist als, schwimme alles ineinander und beginne zu sinken. Sterne am Himmel. Ins Zentrum der Stadt. Aus den Garküchen dringen liebliche Dämpfe. Herr P. bestellt sich ein Singa-Bier. Ein Mädchen spaziert lächelnd vorbei und schwenkt ihr Täschchen. Asien. Ich sitze und schaue und schwebe. War er angekommen? Er reibt seine Knöchel. Ja, er fühlt. Wann erging es mir das letzte Mal so? Er weiß es nicht. Kam er in Südostasien an?

 

 

8. Dezember, Sommerpalast

 

Blauer Himmel, sehr warm, über 30 Grad im Schatten. Gold, Gold und farbige Keramik, bunte Giebel und vergoldete Türme. Und ein Rot, das zu brennen scheint. Geschwungene Dächer. Wasserspiele, künstlich angelegte Teiche, Bibliothek, Bauten im chinesischen Stil, die Thronhalle. Alte Bäume. Tempel, Totenhäuser und Paläste. Viel Pracht. Der Sommerpalast der Siamkönige, Bang Pa In, auch der Große Palast genannt. Er entstand im 19. Jahrhundert. Aber bereits im 17.Jahrhundert hatten hier die Könige von Ayutthaya ihr Machtzentrum. Als Bangkok Königstadt wurde, geriet der Sommerpalast in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert besann sich das Herrscherhaus wieder auf Ayutthaya. Es entstanden zahlreiche Gebäude. Hier sind Europa, China und Siam (Thailand) versammelt. Merkwürdige Parallelen. In Europa kam im 19. Jahrhundert der Historismus auf. Die Wettiner zum Beispiel, aber auch andere Fürstenhäuser entdeckten wieder den chinesischen Baustil. In Moritzburg zum Beispiel das Fasanenschlösschen, in Pillnitz das neue Palais, auch in Leipzig fand das Bürgertum daran gefallen. Die ähnlichen Gebäude des Sommerpalasts sind kein Zufall. Der Große Palast entstand am Ende des 19. Jahrhunderts, in der Hochzeit des europäischen Historismus. König Rhama I. besaß europäische Bildung, ließ  von europäischen Gebäuden kopieren. Klein-Buckingham-Palace entstand, eine neugotische Kirche. Herr P. hat Mühe, die vielen Gebäude ins optische Gedächtnis zu versenken. Was bleibt, ist der Eindruck von Pracht, schöner Stille unter Bäumen und wieder das weise Lächeln eines Buddhas. Diese Pracht hat viel Geld gekostet. Wo kam es her? Von den Thais, die sich über die Reispflanzen bückten?

 

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9. Dezember, Phanom Rung, historischer Park

 

Dodo spricht nicht gern über die Gegenwart. "Wir sind hier nicht in Europa." Alle Vergleiche sind falsch. Natürlich gibt es keine Krankenversicherung, natürlich keine Rentenversicherung. Die Menschen verdienen wenig, besonders die Bauern im Norden des Landes. Aber hungern muss man hier nicht. Den König verehrt er. "Alle Thais verehren den König", behauptet er." Er tut noch das meiste fürs Land, lässt Straßen bauen, ist nicht korrupt. Abends lerne ich einen Österreicher kennen. Er ist mit einer thailändischen Frau verheiratet. Er hat sich als Kaufmann in Thailand niedergelassen. Nein, nach Österreich will er nicht wieder zurück. Das Land gefällt ihm, die Leute auch. Das Klima tut ihm gut, seine Gelenkschmerzen seien wie weggeblasen. Und die Geschäfte gingen gut. Wie Thailand sei, frage ich. Er überlegt lange. "Die Leute sind stolz. Das Land war nie Kolonie. Welcher König auch an der Macht war, er hat es verstanden, sich aus unmittelbarer Abhängigkeit heraus zu halten. Denken sie nur an das große Indien, an Vietnam, an Burma, sie alle waren Kolonie, standen unter britischer und französischer Herrschaft. Aber eines wird einem Europäer nicht gelingen, Thailand zu verstehen."

 

An einer Töpferei gehalten. Schöne Vasen, Schalen, Krüge, Gefäße. Aus den Brennöfen dringt Qualm. Würziger Rauch, der vom Verbrennen von Holz herrührt. In den Räumen Dämmerdunkel. Die Töpfer sitzen vor den Fußdrehscheiben, formen die Gefäße. Sie haben keinen Blick für die Besucher. Verschlossene Gesichter, abweisend. Die Besichtigung ist Herrn P. unangenehm.  Er hätte gern gewusst, was sie verdienen. Dodo weiß es nicht, und er will es auch nicht wissen. Er ist schon wieder beleidigt. In Thailand fragt man nicht nach dem Verdienst. Er ist mit Deutschland nicht vergleichbar.

 

Nachmittag in Prasat Phanom Rung. Auf einem Hügel steht der Tempel. In die Höhe recken sich zwei Türme. Die gesamte Anlage umgeben braunrote Galerien. Auf die Höhe hinauf, Stufe für Stufe dem Heiligtum entgegen. Die riesige Treppe bewachen Naga-Schlangen. Alte Bäume. Bambushecken. Dunkle Wege, fünfzehn Türen, dunkel Räume. Reliefs an Fenstern, Simsen, Türen. Szenen aus der hinduistischen Mythologie. Der Tanzende Schiwa, ein liegender Wischnu, ebenfalls ein Hauptgott des Hinduismus. Der Tempel wurde von den Khmer erbaut. Dodo klärt auf. Die gesamte Anlage ist restauriert. Thailand hätte das Geld nicht aufbringen können, die UNESCO spendierte Geld. "Der Tempel gehört zum Weltkulturerbe", sagt Dodo. Stolz klingt in der Stimme. Das ist schön. Prasat Phanom Rung ist ein hinduistischer Schiwa-Tempel. Abends lese ich. Auch Wischnu ist einer der Hauptgötter des Hinduismus. Er erscheint in zehn Gestalten, als Fisch, Löwe, Eber, als Mensch. Von der Höhe aus schöner Blick auf das Land. Es liegt offen, hell, grün, leicht hüglig. Etwas Wind weht. Stimmengewirr. Auf der Straße zwei Frauen, leicht gebückt. Auf den Feldern Männer bei der Arbeit. Kühe weiden. Im 10.Jahrhundert entstanden die ersten Gebäude des Tempels.

 

Im Tempel des Wischnu, im Tempel des Schiwa. Welch ein erhabenes Gefühl. Und wieder die Gewissheit. Es war gut, auf Reisen gegangen zu sein.

 

Keine zehn Fahrtminuten entfernt liegt Prasat Muang Tam, ebenfalls ein Khmer-Ttempel, auch in ihm wurde Schiwa verehrt. Blassrote Seerosen blühen in den Wasserbecken. Plötzlich verdunkelt sich der Himmel. Schwere Regentropfen prasseln nieder.

  

 

10. Dezember, Domitien

 

Rückfahrt nach Bangkok. Berge im bläulichen Grau. Bald bietet sich ein großartiger Anblick. Herr P. hat viele Buddhas gesehen, die meisten vergoldet, mit Edelsteinen besetzt. Aber hier an der Straße nach Bangkok, in dem kleinen Ort Thong Pha Phum thront ein marmorner Buddha über dem Land. Wie eine Verheißung blickt er über das Land, weiß, fern, unnahbar. Hunderte Stufen führen zu ihm hinauf. Herr P. erspart sich den Aufstieg,  will den Religionsstifter aus der Ferne sehen. Vor dem Aufstieg - unter dem Schatten der Bäume scharen Hühner, Hunde liegen schläfrig auf den Stufen. Am späten Nachmittag in Bangkok, aber gleich Weiterfahrt nach Domitien. Einfahrt. Der Badeort liegt schön. Kokospalmen, Sandstrand, Hotels, Ferienhäuser, Kneipen, Restaurants und Bars.

 

 

12. Dezember

 

Schwimmen, Faulenzen, Lesen. Das Nachtleben im benachbarten Pataja ist laut und verlockend. Die Mädchen kreischen in den zur Straße offenen Bars und winken. Sie haben ihre Würde, sie drängen sich nicht auf. Erst wenn man sie zu einem Drink einlädt, zeigen sie ein freundliches, viel versprechendes Lächeln. Pataja hat einen schlechten Ruf. Die Amerikaner haben den Ort während des Vietnamkriegs zu einem Puff gemacht. Hier erholten sich die Soldaten von den Kämpfen. Die Regierung bemüht sich, dieses Image los zu werden. Thailand sei kein großes Freiluft-Lusthaus. Das ist Unsinn. Freilich, wer in Pataja ein Mädchen haben will, der kriegt es. Herr P. lernt einen Deutschen kennen, etwa Mitte fünfzig. Er hält sich jedes Jahr längere Zeit in Pataja auf. „Mit 56 bist du in Deutschland Schrott. Die Liebe, die ich mir gelegentlich erkaufe, hat etwas Tröstliches.“

 

Abends esse ich Fisch, Red Snaper, in Deutschland teuer. Ein ganzer Fisch, eine Flasche Bier, heißes Gemüse und Reis, 150 Bath, rund vier Euro.

 

 

14. Dezember

 

Fahre nach Bangkok, zum Königspalast. Merkwürdig, Herr P. sieht alles mit Staunen, das viele Gold, die Türme, die übergroßen Wächter, die die Chedis (Totenhäuser), den große liegende Buddha, vergoldet, 45 Meter lang, aber er nimmt kaum noch etwas auf. Alles bleibt Kulisse. Genug gesehen, genug. Roter Sonnenuntergang in Domtien. Die Palmen vorm Meer und gegen die Sonne gesetzt stehen schwarz. Das Wasser wie Seide, vollkommen still. Ein kühles Bier, eine köstliche Brühe, wieder Fisch. Endlich erlebt er es wieder. Reisen schafft Glücksgefühl. Man muss darauf warten können, es kommt, es kommt.

 

 

18. Dezember

 

Rückflug. Asien versteckt sich unter weißen Wolken. Wieder Lust auf Arbeit, auf seine Zeitung, die er zehn Mal im Jahr vorlegt, und er weiß: Er wird wieder auf Reisen gehen, allein.

 

 

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// Text und Fotos: Reinhard Delau