Heiliges Lalibela


Reinhard delau; Äthiopische Reise
Kirche Bete Georgis, aus der steinernen Tiefe herausgeschlagen

 

Äthiopische Reise

 

 

Die alten Augen des Priesters hielten Herrn P. fest, der umkehren wollte. Der Gottesmann hob das vergoldete Kreuz, senkte es, hob es wieder, winkte Herrn P., näher zu treten. Zögernd folgte er dessen Aufforderung, stockte, folgte wieder dem energischen Winken. Schließlich stand Herr P. vor dem Priester, der in ein buntes Ornat gekleidet war. Ein saurer Geruch entströmte der hohen, dünnen Gestalt. Der Priester schob das Kreuz Herrn P. entgegen, der leicht zurück wich. Das missfiel dem Mann. Er packte Herrn P. am Arm, presste das Kreuz auf P.´s Stirn und zischte: „Kiss!“

Herr P. versuchte sich dem Manne zu entziehen. Aber der hielt ihn fest. „Kiss“, zischte er zum zweiten, zum dritten Mal. Drei Tröpfchen Speichel landete auf Herrn P.´s linker Wange. Er kam nicht dazu, sie wegzuwischen. Herr P. spürte das kühle Kreuz auf der Stirn. Und einen Augenblick war es ihm, als sei sein Wille gelähmt. Er unterwarf sich dem Priester und berührte mit gespitzten Lippen das goldene Kreuz. Das war dem Gottesmann zu wenig Ergebung. Er presste das Kreuz an P.´s Mund und hielt seinen Hinterkopf umklammert. So geschah es Herrn P. in der „Bete Medhane Alem“, der größten Felsenkirche im äthiopischen Lalibela, der Heiligen Stadt, am zweiten Tag seines Aufenthalts im November 2009. Herr P. vergaß dem Priester etwas Geld zuzustecken, was der Gottesmann mit Sicherheit erwartete. Als sich Herr P. dessen bewusst wurde, freute er sich.

 

   Als Herr P. die Kirche verlassen hatte, war er wie benommen. Ein seidiger Himmel hing über der alten Stadt, über den runden mit Schilf gedeckten zweistöckigen Tukuls, den Hütten und braungelben staubigen Straßen. Er setzte sich auf eine Stufe. Vor ihm die lange Pfeilerfront der Felsenkirche, die zum Teil im harten Schatten lag. Fensterreihen, ins Mauerwerk eingemeißelte Kreuze gliederten die Fassade. Er hatte sich dem Mann ergeben, der seine Autorität ungehemmt genutzt hatte. Und Herr P. ahnte etwas von der Gewalt, von der Kraft, die von solchen Ritualen ausging. Er hätte es vorher nicht für möglich gehalten, dass er ein Kreuz in Äthiopien küssen würde. Er trank einen Schluck Wasser aus die Plasteflache. Köstlich. Aus dem Dämmerdunkel der Kirche traten Menschen. Der Nachmittag war schon weit vorgeschritten. Er beschloss, die berühmte Kirche, die in Gestalt eines griechischen Kreuzes tief in den Fels geschlagen worden war, erst am nächsten Tag zu besuchen. So erwartete ihn morgen noch ein weiteres Erlebnis. Vielleicht auch deshalb, um nicht schon wieder einem Priester zu begegnen. Einer am Tag reichte Herrn P. Vor fünf, sechs Jahren hatte er in einem Magazin ein Foto der Kirche gesehen, ein Kreuz in Stein gehauen, dessen Umrisse deutlich zu erkennen waren. Seitdem wollte er nach Lalibela, um die Kirche wirklich zu erleben. Er stieg die steinernen Stufen hoch, umrundete den Kirchbau.

 

 

Bete Medhane Alem war ein großes Gotteshaus, das größte in Lalibela. Es stand auf einem Sockel. Ein Umgang von 34 Pfeilern umgab es. König Lalibela ( 1176-1207, auch andere Angaben zur Lebenszeit) ließ sie aus dem roten Tuffgestein hauen. Es ist schwer nachvollziehbar, wie diese Kirchen entstanden waren, ohne Pulver, nur mit dem Meißel wurde sie aus dem Stein herausgeschält. Bauberichte gab es nicht. Die Legende weiß um die Schwierigkeiten. Engel sollen beim Bauen geholfen haben. Sie arbeiteten nur nachts und erbrachten die doppelte Arbeitsleistung eines Steinmetzen am Tage. Eine schöne Legende, dass die himmlischen Heerscharen selbst mit Hand angelegt haben, ein Wunsch, vielleicht gar eine Aufforderung. Auch ägyptische Kopten (Christen) sollen beim Bau der Felsenkirchen in Lalibela  geholfen haben. Wer sie auch immer erbaut hat, sie sind einzigartig und bezeugen eine tiefe Religiosität. Ihr Architekt soll in der Kirche begraben sein. Sollte das stimmen, dann wäre das eine großartige Würdigung seiner Leistung.

 

 

In Lalibela und seiner näheren Umgebung gab es viele solcher Felsenkirchen. Ungelöste Rätsel blieben bis heute. Keiner der Wissenschaftler und Forscher vermag mit Sicherheit zu sagen, warum es ausgerechnet in Lalibela eine solche Konzentration von Felsenkirchen gibt. Aber die Legende fand auch hier eine Erklärung: Gott, der nach Jerusalem pilgern wollte, habe Lalibela beauftragt, ein Kleinjerusalem zu bauen. Und in der Tat erinnern Namen an eine enge Verbindung zu Palästina und Jerusalem. In dem Kirchenareal gibt es einen schmalen Wasserlauf, der Jordanus (Jordan) genannt wird, „Golgatha“ und „Sinai“ waren auch vertreten, auch das Grab von Jesus hatte einen symbolisch Ort.

 

Herr P. verließ den Kirchenbezirk. Eine gepflasterte Straße durchzog die kleine Stadt. Es war Schulschluss. Tausende Mädchen und Jungen verließen die Schule, alle in Schuluniform. Sofort schlossen sich ihm zwei Jungen an, fragten höflich, ob sie ihn begleiten dürften. Sie sprachen ein erstaunlich gutes Englisch. Herr P. erfuhr, dass mehr als 8000 Schüler die Schule besuchten, in zwei Schichten, vormittags und nachmittags wurde gelehrt. Etwa 70 bis 80 Schüler stark war eine Klasse. Lernt man da überhaupt etwas?“, fragte Herr P. „Wenig“, antwortete einer der Jungen, der Johannes hieß. „Aber wenn man will und Ehrgeiz hat, dann schafft man viel.“ Er war vielleicht zwölf Jahre alt, sprach aber wie ein Erwachsener, ruhig und überlegt. „Wenn sie wollen“, sagte er, „zeige ich Ihnen das heilige Lalibela und interessante Orte.“ Ein paar Mädchen schlossen sich an. Sie wollten wissen, wo Herr P. zu Hause sei. Und als er es ihnen sagte, hörte er “Germany good“.

 

 

Herr P. hatte keine Lust auf interessante Orte. Er wollte in Ruhe einen Tee trinken, vielleicht ein Glas Tejd, aber Johannes gefiel ihm. Er schlug ihm vor, ihn morgen gegen 14.00 Uhr im Hotel abzuholen. „Ich warte am Eingang“, sagte Johannes. „Betreten darf ich das Hotel nicht. Dort kriegt man Prügel. Mit dem Stock, von dummen, dumme Bauernpolizisten.“ Seine Verachtung war unüberhörbar. Man wird auch ein paar Tage eingesperrt, wenn man Pech hat. Es ist verboten, Ausländer zu begleiten. Sie könnten sich gestört fühlen.“ Und er beobachtete aufmerksam die Umgebung.

 

 

 

Her P. hatte gut geschlafen. Er hatte leichtes Kopfweh. Er hatte zu viel Tedj getrunken. Ein höllisches Getränk, leicht säuerlich, gut im Geschmack. Als er unter die Dusche trat, hörte er nur ein hohles Gurgeln: kein Wasser. Man brachte ihm einen Eimer Wasser. „Gegen neun wird es da sein“, versprach eine ältere Frau. Deren Gesicht gegerbt erschien. Er nahm es gelassen, frühstücke ausgiebig unter schattigen Bäumen neben blühenden Mimosensträuchern. Vor ihm feuerrote Blüten. Es war angenehm warm, vielleicht 26, 28 Grad Celsius im Schatten.

 

 

Heute würde er nachholen, was er gestern verschoben hatte: den Besuch der Bete Gyorgis, der Georgskirche. So, wie er das Foto in Erinnerung hatte, fand er sie vor. Auch sie ist aus Stein gehauen und steigt aus einem tiefen Schacht empor, reckt sich ans Licht, schwer und fest. Und das Kreuz auf dem Dach schimmerte wie ein Signal. Herr P. setzte sich auf einen Stein. Der Stein war warm. Die Kirche hat die Form eines griechischen Kreuzes. Sehr lange saß Herr P. auf dem Stein. Wer hat die Kirchen bedroht, dass man sie in den Fels schlug, sie aus ihm herausmeißelte? Warum diese ungeheuere Aufwand? Über zehn Meter steigt sie vom Sockel auf. Herr P. steigt in den Vorhof hinab, geht über den Hof, betritt ihr Inneres. Es ist schlicht, ohne Ornamente, aber groß, großartig. Dämmerlicht. Licht wie Narkose, Religion, Glauben, denkt er, sind Verführung, zwingen, sich unterzuordnen. Er ärgert sich jedes Mal auf Neue, dass er in Kirchen, den Rücken beugt, die Stimme senkt, Ehrfurcht wie einen Zwang empfindet. Wieder draußen über dem felsigen Untergrund fühlt er sich wohler. Irgendetwas steckt in ihm. Aber er betrachtet sich misstrauisch. Irgendetwas steckt ihm, das ihn anfällig macht, weil, ihn die Geschichte des Alten Testaments berühren. Nach dem Ende des Krieges hatte ihm seine Mutter das Lesen mit Hilfe der Bibel und des evangelische Gesangbuches beigebracht. Er holte aus, tritt fest auf, schaut über das felsige Land. Das weiß er, was er hier, in Lalibela, der heiligen Stadt, wie es in der Überlieferung heißt, erlebt und sieht, ist tiefer Ursprung der Menschheitsgeschichte.

 

 

 

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Äthiopische Reise; Reinhard Delau
// Fotos: Reinhard Delau - Begräbnis in Lalibela

// Texte und Fotos: Reinhard Delau.