Das stille Gleiten der Dschunken mit rostbraunen Segeln

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Vietnamesische Schönheiten

 

Große Asienreise/ Vietnam/Ha Long Bucht im Golf von Tonking

 

 

David, der Chef des Packardhotels, lockte Herrn P. mit Hochglanz-Angeboten. „Ha Long Bay müssen Sie unbedingt sehen. Und er hatte sofort Angebote zur Hand, deutete auf traditionelle Jachten. Sie schaukelten unter tiefblauem Himmel auf tiefblauem Meer.  „Absoluter Luxus“, sagte er. „Beste Sepsen, beste Weine, frischer Fisch. Alles, was das Herz begehrt.“

 

Die Preise waren für vietnamesische Verhältnisse auch luxuriös. 135 Dollar pro Tag. Herr P. ist nicht geizig, aber aufs Geld schaut er schon. Diesen Luxus musste er nicht haben. Ihn interessierten die steinernen Wunder von Halong Bay und nicht beste Weine. Fisch würde es ohnehin an Bord geben, und der kam hoffentlich nicht aus dem Atlantik. „Und dies da?“, fragte Herr P. und deutete auf viel  günstigere Angebote hin. – „Auch nicht schlecht“, bestätigte David, „aber kein Vergleich.“ Er zeigte ein bekümmertes Gesicht. Klar in Herrn P's Alter sollte man sich schließlich etwas leisten. – „Gut“, erwiderte Herr P., „buchen Sie die preiswertere Reise für mich. Drei Tage. David grinste. „Mit Amerikanern habe ich es einfacher“, sagte er. Seine Provision fiel niedriger aus.
Hanoi, früh acht Uhr. Frühstückszeit. An den Straßenrändern dampfen die Töpfe. Fleisch wird zerstückelt, Kräuter werden zerkleinert. Gerüche nach frischem Brot, Nudelsuppen und Tamarinde wallen. Morgengewühl. Es wimmelt, quirlt. Tausende von Mopeds knattern, oft besetzt von zwei, ja drei Personen. Tausende Mopedtaxis stehen am Straßenrand und warten auf eine Fahrt. Stinkende Dunstwolken. Das große Abenteuer Tag hat begonnen, die Jagd nach ein paar tausend Dongs hat begonnen. Der Himmel ist mit einem blassgrauen Schleier bedeckt. Zehn Mann werden in der Altstadt aufgelesen und finden in dem Kleinbus Platz, meist junges Volk aus aller Welt. Zwei Engländerinnen steigen dazu, blass mit großen Hüten auf kurzem Haar. Das Schnattern beginnt. Yesterday a pig on the stick, dilishes. Herr P. ist – wie fast immer – der älteste Reisende. Polizisten in grasgrünen Uniformen und übergroßen Schirmmützen regeln den Verkehr. Fahrt über den Roten Fluss, auf der anderen Brücke rollen Güterwagen. Hinein ins flache Land.
Viel Verkehr. Die DDR bringt sich in Erinnerung. LKW der Marke H3 und W 50 rollen auf der Straße, vielleicht ehemalige Armeebestände. Vietnam, das Brudervolk, war ein Hauptabnehmer der DDR-LKW-Produktion. Reisanbau. Aufgeschüttete niedrige Dämme, die die Flächen umgeben, verhindern das Ablaufen des Wassers. Frauen und Männer unter kegelförmigen Hüten bei der Arbeit. Es geht in Richtung Lang Son, 133 Kilometer. Bananenplantagen, Baumzüge. Wasserbüffel.Dunkel steigt auf. Und in der Ferne treten Höhenzüge aus dem Dunst.

 

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// Kriegsmuseum, erbeutete USA-Kriegsgeräte


Nach etwa drei Stunden Einfahrt in Ha Long, der Hauptstadt der Provinz Quang Ninh, etwa 150 000 Einwohner. Junge Palmenbäume, die sich arg zerzaust behaupten, sind gepflanzt. Gesichtslos Bauten, Hotels, Cafés, Restaurants. Die Stadt macht keinen sonderlichen Eindruck. In Hanoi hatte ein Unternehmer Herrn P. erzählt, dass sich Ha Long kräftig entwickele. Er kenne den Ort gut. Bereits als Kind sei er mit seinen Eltern dort gewesen. Seit der Öffnung des Landes hat der Bauschwung zugenommen. Aus dem einstigen verschlafenen Nest ist ein Touristenzentrum entstanden, vielleicht etwas laut und bunt. „Man kann das bedauern“, hatte Herr LI gesagt, aber aufzuhalten ist das nicht mehr. Li, der mit Armaturen, Waschbecken und Badewannen handelte, hatte freundlich gelächelt. „Vietnam ist im Kommen. Wir holen auf. Das macht unsere Nachbarn neidisch. Kambodscha zum Beispiel scheint nur langsam in Schwung zu kommen.“ Es klang verächtlich. Der Aufschwung bekommt seinem Geschäft. Knapp fünfzig Mann beschäftige er inzwischen. Er hatte Herrn P. geraten, nicht zum Wochenende nach Ha Long zu fahren, es sei zu sehr überlaufen. Vor allem Chinesen entdeckten den Ort und die großartige Bucht.
Herr P. ist etwas müde, als er auf einem großen Bushalteplatz aussteigt. Es ist warm, sehr warm. Die Sonne knallt auf seine spärlich bewachsenen Schädel. Einige Schritte weiter fällt alle Müdigkeit von ihm ab. Eine Bucht öffnet sich. Schwarz-braune Dschunken schaukeln leicht im Wasser. In der Ferne tauchen die Umrisse von dunklen Felsen auf, die aus dem Wasser herausragen. Das ist die Ha Long Bucht im Golf von Tonkin. Welch eine großartige Wasserlandschaft erwartet ihn. Beim Betreten des Bootes reicht ihm die vietnamesische Reiseführerin die Hand, damit er nicht ins Wasser fällt. Herr P. schaut etwas betroffen drein. Sieht er denn schon wirklich so wacklig aus?

Langsam gleitet die Dschunke, die ein Segel hat, aber von einem Motorboot betrieben wird, in den Golf hinaus. Die Stadt, hell im Licht, bleibt zurück. Irgendwo stehen Kräne vor schwarzer Landschaft. Dort wird Steinkohle gefördert. Die Franzosen haben einst daraus hohen Profit geschlagen. Was war schon ein Kuli wert? Nichts! Riesige Felswände ragen aus dem Wasser. Mit Grün überzogen manche, andere sind völlig glatt und schwarz. Bizarre Formen stechen ins Blau. Und das Wasser ist tief blau und im Schatten grün, wechselt in Türkis. Laulos zieht die Dschunke ihre vorbedachte Bahn. Eine Höhle steht zur Besichtigung an. Herr P. hat schon viele Höhlen und Grotten gesehen. Die Vietnamesin überredet ihn zum Landgang. Er gibt widerstrebend nach. „Sie werden es nicht bereuen“, verspricht sie. Steiler Anstieg, angenehme Kühle in der Höhle. Sehr aufregend ist das nicht.
Am nächsten Tag stehen wieder Höhlen auf dem Programm. Diesmal bleibt Herr P. stur. Er zieht es vor, auf dem Schiff zu bleiben. Bis auf eine Kanadierin, die es sich im Liegestuhl bequem gemacht hat, und liest, gehen alle von Bord.
Stille. Dschunken mit rostroten Segeln gleiten still zwischen den Felsen. Wie große stumme Fische. Herr P. lässt sich ein Bier kommen, streckt die Beine aus. Er hat einiges gesehen, die Pyramiden von Gizeh, deren höchste, die Cheopspyramide, er bestiegen hat, obwohl dies verboten war, das Tal der Könige in Oberägypten. Auf dem Katharinenberg auf Sinai hatte er mit Moses gestritten, der ihm nicht geantwortet hatte. Vor der Akropolis in Athen waren ihm Tränen der Freude gekommen, in Karthago hatte er empfunden, dass die Welt barbarisch ist, und im kambodschanischen Angkor Wat war er überwältigt gewesen von der Steinbaukunst der alten Khmer. Diese Felsen- und Insellandschaft war etwas Einmaliges, Großartiges. Man bekam Angst, dass sie womöglich nicht genug behütet wird. Ha Long, hatte er gelesen, bedeutet „der Ort, an dem der Drachen ins Meer steigt“. 3000 Inseln soll es in der Bucht geben, unzählige Höhlen. Die Legende weiß zu berichten, wie sie entstanden sind: Eine gewaltige Drachenmutter, die von den Vietnamesen gerufen worden war, um gegen die Feinde zu kämpf stieg nach siegreichem Kampf wieder ins Wasser. Als sie ins Meer versank, verdrängte sie soviel Wasser, dass Täler und Schluchten versanken und nur die schrundigen zerklüfteten Gipfel herausragten.
Es ist gut, auf der Dschunke zu liegen. Wer reist, darf nicht raffen. Deshalb mag Herr P. nicht die organisierten Reisen. Er erinnert sich, wie er 1986 in Venedig aus dem Bahnhof trat und sich auf die Stufen setzte. Vor ihm der Canale Grande. Er wusste nicht, wo er schlafen wird. Stunden saß er und schaute. Dann war ihm klar geworden. Diese Stadt ist nicht von dieser Zeit. Ganz nah gleitet eine Dschunke vorüber, lässt ein leises Rauschen hören. Wasser zerteilt und schließt sich wieder. Ganz selten gibt es Augenblicke, die ohne Gier und Neugier sind, ohne Wunsch und ohne Arbeitslust. In diesem November des Jahres 2006 war wieder einmal ein solcher Augenblick eingetreten, als er auf der Dschunke geblieben war. Übermorgen wird er nach Hanoi zurückkehren und einen Tag später nach Siem Reap fliegen, zu den Khmertempeln aus versunkener Zeit. Er liebte sie von Jahr zu Jahr mehr.

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// Ha Long Bucht, einzigartige Waserlandschaft.

// Texte und Fotos: Reinhard Delau.