Der Mekong im flammenden Licht

Delaus Reise-Blog, Laos-Reportagen
// Bester Schutz beim Lesen

 

23. November 2007, Vientiane

 

Es dauerte, ehe Herr P. begriff, wo er war. Er hatte gut geschlafen. Im Zimmer dämmriges Licht. Er hatte gestern die Vorhänge zugezogen. Er horchte. Stille. Der erste Tag in Vientiane erwartete ihn.
Er war neugierig, was er ihm bringen würde. Und das war es, vermutete er, was ihn immer wieder auf Reisen trieb: das Neue, Andere, Fremde zu schauen, manchmal auch Ärgerliche erfahren, auch Gefährliches erleben wie auf seiner letzten Afrikareise, als man ihm in Kampala am helllichten Tag, keine 20 Meter vom Hoteleingang entfernt, ein Messer unters Kinn hielt, freundlich lächelnd, und Money verlangte. Er lächelte auch und reichte den Räubern die kleine Geldbörse, in der sich 20 Dollar befanden und etwas einheimisches Geld.

 Es war nicht das erste Mal, dass er auf einer Afrikareise überfallen wurde. Die drei Jungen - gewiss nicht älter als 15, 16 Jahre - grinsten, räumten das Täschchen ohne jede Hast aus, gaben es ihm zurück und gingen weiter, als sei nichts geschehen. Er hatte sogar einen Klaps auf die Schulter erhalten. Wehe, er hätte kein Geld bei sich gehabt.  Aber das wusste Herr P. Man musste ein paar Spenden bei sich haben, möglichst gut verteilt an verschiedenen Stellen, wenn man nicht in große Gefahr geraten wollte. Wenn sie nichts erhielten, wurden sie böse. Niemand hatte etwas gesehen.
Nein, in Asien ist ihm das noch nicht passiert. Er sprang mit Schwung aus dem Bett, schob die Vorhänge zur Seite.

 

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Die Hauptstadt von Laos lag vor ihm. Aus dem Wirrwarr der Häuser ragten die goldig schimmernden Giebel der Pagoden heraus. Die geschweiften Dächer blinkten im hellen Licht. Er entdeckte den Triumphbogen im flimmernden Licht. Und weiter die Straße folgend, die Bäume säumten, glänzte Gold, hell und grell. Er wusste es. Das war That Luang, das Wahrzeichen von Vientiane, ein heiliger Ort. Dorthin wollte Herr P. zuerst. Schaute er nach links sah er den Mekong, der breit und behäbig zwischen den grünen Ufern floss. Wenig Wasser führte er. Nackte Sandbänke lagen entblößt.

 

// Vientiane.

Herr P. duschte lange, frühstückte in dem bombastischen Restaurant, in dem er fror, und trat in die Helligkeit des Tages. Man bot ihm zu überhöhten Preisen eine Fahrt ins Zentrum an. Er lehnte freundlich ab. Kein Versuch, ihn umzustimmen, folgte. Man war hier zurückhaltender als in Kambodscha. Es dauerte länger, ehe ein Lächeln erwidert wurde. Das hatte er schon auf seiner ersten Reise durch Laos festgestellt.

 

Herr P. spazierte auf der Uferstraße entlang, unter alten Bäumen. Meist verbarg sich der Fluss hinter hochgeschossenen Gräsern. Mit jedem Schritt, den er setzte, stieg sein Hochgefühl. Solche Reisen sind anstrengend. War man am Ziel, lobte die Eitelkeit. Gärten vor Villen. Balkone. Grüne Fensterläden. Kleinere Hotels. Bevorzugte Wohngegend aus der Kolonialzeit. Frankreich hatte sich hier eingerichtet, musste aber 1954 Laos aufgeben. Der König dankte 1975 ab. Die Pathet Lao übernahm die Macht, eine marxistische Gruppierung. Revolution war angesagt. Die Umerziehungslager quollen über. Ein neuer Mensch sollte dem Alten, dem alten Laos, der Königszeit, dem Kapitalismus abschwören, die Sicheln schwingen und dem roten Stern dienen. Zehntausende flüchteten, viele nach Thailand. Den Franzosen folgten die Vietnamesen und sowjetische Berater. Auch das ist vorbei. Rote Sterne und Sichel wurden von den Gebäuden geholt. Laos nennt sich heute Volksdemokratische Republik. Eine halbe Million soll in der Hauptstadt leben, in Laos etwa sechseinhalb.

 

Herr P. arbeitete sich zu Lane Xang durch, einer breiten Avenue, die auf Patou Say führte, den Triumphbogen. Kinder in Schulkleidung. Mäßiger Verkehr. Dreirädrige tuk tuks. Patou Say stand am Ende der überbreiten Lane Xang. Diese Straße wurde vonn den Franzosen angelegt. Und der Triumphbogen soll an den Arc de Triumph in Paris erinnern. Aus Dankbarkeit? Patou Say war ein grobschlächtiger Bau.

Von den Betonwänden blättert der Farbanstrich. Blumenrabatten umgaben den Bogen. Er winkte unförmig, ja hässlich. Daran vermochten auch die orientalisch anmutenden Türmchen über dem Betongebälk nichts zu ändern.

 

Es wurde heiß. Herr P. winkte ein Tuk Tuk heran. „That Luang“, sagte er. Das Ziel kannte jeder Fahrer. Es war das goldene Wahrzeichen Vientianes. Das Fahrzeug knatterte ohrenbetäubend und stank nach Auspuffgasen. Mehrere Mönche eilten dem Gebäude im Gänseschritt entgegen, schützten ihre kahl geschorenen Köpfe mit Regenschirmen. Herr P. bedeutet dem Fahrer zu warten. Langsam näherte er sich dem Stupa, dem buddhistischen Kultdenkmal.

That Luang ist ein heiliger Ort. Er soll schon lange vor Christi Geburt existiert haben. In seinem Inneren soll sich in einem Schrein ein Stück von Buddhas Brustbein befinden. Seine Vorgängerbauten wurden mehrfach zerstört und immer wieder neu gebaut. Der Bau steigt mehrstufig in die Höhe. Steile Treppen, flankiert von kleineren Stupen, führen von Geschoss zu Geschoss. Stilisierte Lotosblumen und Zinnen schmücken den Stupa. Und aus der Mitte steigt der Hauptstupa in die Höhe, ein turmartiger Bau.

 

Herr P. war enttäuscht. Was aus der Ferne wie vergoldet aussah, war ein goldgelber Anstrich. Er hatte es vergessen. Er stieg bis zum höchsten Punkt, machte aber schnell kehrt. Es war zu heiß, um sich länger auf den nackten Terrassen aufzuhalten. Das Heiligtum war von einer geschlossenen Galerie umgeben. Buddhistische Malereien schmückten die Wände. Herr P. setzte sich in ihren Schatten, schaute, horchte.

Manches aus der Kolonialzeit mutet merkwürdig an. Wieder einmal zerstört, bauten die Franzosen That Luang in der jetzige Gestalt auf (That ist gleich Stupa). Plötzlich drängte sich Herr P. eine Frage auf: Was wollte er hier? Warum setzte er sich der Hitze aus, dem flimmernde Licht, den ungewohnten Gerüchen, den Strapazen der Reise? Sonderlich attraktiv war Vientiane nicht. Vielleicht würde er am Schluss seiner Laosreise eine Antwort finden, aber sicher war er nicht.

 

Vietiane, 24. November

Abends am Mekong. Holzkohlefeuer glommen. Rauch stieg auf. Es roch nach Fisch und Fleisch. Am anderen Ufer des Mekongs grünes Dickicht wie eine Wand. Musik dudelte. Es war an genehm warm. Die große Tempelanlage an der Uferstraße, von der geschwungene Dächer aufsteigen, versank im Dunkel. Herr P. wählte einen Fisch, der in einem großen Aquarium schwamm. Er wartet, bis sein Fisch aufs Rost gelegt wurde. Vor zwei Jahren hatte er sich hier den Magen verdorben. Das sollte ihm nicht wieder passieren. Er ließ sich ein Bier kommen, lehnte sich im Plastesessel zurück, der vor einem Tisch aus Metall stand. Es wurde schnell dunkel, in den Restaurants an der Uferstraße sprangen die Lichter an. Mopeds knatterten. Auf ihnen junge Damen, die nach Männern Ausschau. hielten. Vor zwei Jahren hatte er das nicht beobachtet. Der Fisch - im Ganzen gebraten - mundete. Ein kleiner Wind brachte etwas Kühle. Und plötzlich bedrängte ihn wieder die Frage da: Warum war er nach Laos geflogen? Warum saß er an diesem hässlichen Metalltisch, in dem hässlichen Plastestuhl? Katzen und Hunde lauerten auf Reste. Hatte ihn die Lust des Wiedersehens nach Vientiane getrieben? Er liebte es, immer wieder zu Orten zurückzukehren, die er bereits kannte.

Vientiane, 26. November

Anrührende Begegnung. Herr P. ließ sich mit einem hoteleigenen Kleinbus ins Zentrum fahren. Ein kräftiger, untersetzter Mann, etwa 50 Jahre alt, saß am Steuer. Nach einer Weile fragte er: Sie sind Deutscher? Herr P. war überrascht. Sah man ihm den Deutschen an. „Wie kommen Sie darauf?“ Der Fahrer antwortete. „Ich kenne Deutschland, habe dort studiert.“

„Wo?“

„In Karl-Marx-Stadt, in der DDR.“

Es klang merkwürdig. In der DDR. Ein mit der DDR Vertrauter in Laos. „Die DDR gibt es nicht mehr“, sagte Herr P.

„Ich weiß“, erwiderte der Fahrer.

„Was haben sie studiert?“

„Maschinenbau.“

„Und da fahren Sie einen Hotelbus.“

„Maschinenbauer braucht man hier nicht. Aus den großen Plänen von einst ist nicht viel geworden. Laos hat auch heute kaum Industrie. Es ist ein Bauernland geblieben. Wir finden keinen Anschluss. Vietnam, selbst Kambodscha, entwickelten sich kräftig. Hier passiert sehr wenig.“ Er habe in Vietnam Fuß zu fassen versucht. Das sei ihm nicht gelungen. In Hanoi gebe es genug Vietnamesen, die deutsch sprachen, Rückkehrer aus der DDR. Über sein fleischiges Gesicht lief ein Bedauern. Er kniff einen Augenblick die Augen zusammen, als wollte er etwas schärfer sehen. „Es wird noch lange dauern, ehe wir Anschluss finden. Wenn überhaupt. Es fehlt an Schwung.“

   Er hielt im Stadtzentrum und bot Herrn P, an, ihn wieder abzuholen. Herr P. bedankte sich, wollte sich nicht auf eine Zeit festlegen lassen. Merkwürdig, wie ihn diese Begegnung anrührte. Der Mann dachte offenbar gern an die Jahre in Karl-Marx-Stadt. Dresden und Berlin und Weimar habe er mehrere Male besucht. „Schöne Städte.“ Er schien in sich hineinzuhorchen, als müsste er dort etwas entdecken. „Und wie gefällt Ihnen Vietiane?“

Herr P. drückt sich ungenau aus: „Nicht schlecht“, sagt er.

 

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// Unterwegs in Laos

 

 

Dörfer, 27. November

Herr P. nimmt sich ein Taxi. Fahrt durch mehrere Dörfer. Pfahlhäuser. Dreck, Schutt. Hühner und Schweine unter Bäumen, Kinder, Kinder.

 

 

Vietiane, 28. November

Den ganzen Tag unterwegs, von einer Pagode zur anderen. Meist standen sie im Grünen, geschützt von alten hohen Bäumen. Die geschwungenen Dächer sind wie ein Flügelschlag, die reich verzierten Giebel sind kostbar verziert. Mehrere Gespräche mit jungen Mönchen. Sie werden in klostereignen Schule ausgebildet, auch im Englischen, sofern es einen Englischlehrer gibt. Sehr müde ins Hotel zurück. Trotzdem 40 Minuten geschwommen. Was Herrn P. auffiel. Die Mönche sind keine Eiferer, zeigen nicht die geringste Neigung, ihm ihre Religion nahe zu bringen. Kann es sei, denkt Herr P., dass man reist, weil man hungrig auf Welt ist, auf leisen Erschütterungen, die Fremden auslösen? Abends wieder am Mekong. Schrille Musik. Bunte Lampions. Hell erleuchtete Restaurants. Ein Bettler beobachtete Herr P. Ihm verging der Appetit, er ließ mehr als die Hälfte des Essens stehen. Als Herr P. den Tisch verließ, schob der Bettler das Essen in einen Plastebeutel und entfernte sich schnell. Herr P. war verärgert, dass ihm Armut so direkt zusetzte. Das nahm er dem Bettler übel.

 

Vientiane, 29.

Herr P. traf sich mit Journalisten. Sehr freundliche Aufnahme. Nein, einladen durfte er sie nicht. Das beanspruchten sie für sich. Langes Gespräch. Dennoch war Herr P. enttäuscht. Ihre Verachtung war zu groß. Voller Hohn sprachen sie über die Regierung. Laos steht ganz am Ende. Es kann sich nicht mal selbst ernähren. Ohne die Geldtransfers gebe es Hunger. Zu viele Experimente, zu viele Analphabeten.Wir sind hoffnungslos zurückgeblieben. Und es ist niemand in Sicht, der das Land aus der Lethargie führen könnte. Auf dem Lande herrscht noch die Naturalwirtschaft vor.

 

Abends telefoniert er mit H. „Es wird Zeit, dass du zurückkehrst“, sagt sie. Der Advent beginnt. Das Wort verzaubert. Er liebt diese Funkeln der Lichter auf den Märkten, das Fichtengengrün, den Lauschaer Weihnachtsschmuck. die Nusknacker auf den Fensterbänken, die rauchenden Räuchermänner, den Duft der Pulsnitzer Lebkuchen. H. hat recht: Es wird Zeit zurückzukehren. Über vier Wochen ist er unterwegs. Er hatte vor, für zwei Tage nach Luang Prabang, in die alte Königsstadt, zu fliegen. Er lässt es sein. Er wird morgen, spätestens übermorgen nach Bangkok fliegen. Dort bleiben ihm noch drei Tage. Im Hotel angekommen, bittet er, einen Flug nach Bangkok zu buchen, für morgen oder übermorgen.

 

30. November

Noch einmal zur Pagodenstraße, in die Stille der Hallen, in den Duft der Honigkerzen seidigen Lotosgarben. Mönche im Schatten über Bücher gebeugt, Stimmen, die unter hohen Bäumen verhallen, die immerwährende Versunkenheit der Buddhastatuen, dieses rätselhafte in sich Schauen, das zu wiederholen Herrn P. nicht gelingt. Er ahnt, was ihn auf Reisen treibt. Es ist die die große Entscheidungsfreiheit, von heut auf morgen Richtung und Ziel zu ändern, ohne Hast, sich auf eine Stufe zu setzen und dem Scharren der Kokoswedel zuzuhören, dem Wellenschlag des Mekong zu hören, es ist die Ruhe, die aus der Gier des Reisesens gleitet, und  Glück empfinden lässt, Ruhe, in der er schaukelt unter dem großen Himmelsbogen oder in den Wipfeln der hohen Feigenbäume.

 


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// Verehrter Buddha

// Texte und Fotos: Reinhard Delau.