Express von Singapur nach Malaysia

Delaus ReiseBlog. MalaysiaReportagen
Die Petronas Twin Towers, das neue Wahrzeichen

 

Singapur/Kuala Lumpur (KL) . 7. November 2008

 

Herr P. findet auch in Kuala Lumpur nicht die ersehnte Gelassenheit.

Das Meer blitzte auf, sonnenüberflutet. Solche Anblicke, das wusste Herr P., machen Lust auf Reisen. Meeranblicke verführen. Wie oft hatte er an der Ostsee in den Zeiten des kalten Krieges gestanden und sich nach Ferne verzehrt. Schweden war so nah und doch so unerreichbar. Da war Hass in ihm aufgestiegen, dass das Reisen in den Westen verwehrt wurde. Dass er jetzt diesen Hunger stillen konnte, empfand er als größtes Glück der zurückliegenden 18 Jahre.


Fahrt mit der Eisenbahn von der Insel über den Damm und hinüber nach Malaysia auf das Festland. Mäßiger Verkehr. Die Wagen schepperten, als seien sie mit Milchkannen gefüllt. Erinnerungsbild aus Herrn P´s Schulzeit in einem Oberlausitzer Dorf. Die Milchkannen der Bauern wurden früh auf eine Rampe gestellt und von dort in die Molkerei gefahren. Kokospalmen, hellgrüne Bananenstauden. Hühner scharrten in Gärten und Höfen. Minarette und Kuppeln schimmerten. Malaysia ist ein islamisch geprägtes Land, hat sich zum großen Teil, vom Hinduismus und Buddhismus abgewendet, vor langer Zeit. Etwas mehr als 50 Prozent der Bevölkerung gehören dem Islam an.

 

Reichlich 23 Millionen Menschen leben in diesem südostasiatischen Staat, der sich als Halbinsel an den Süden Thailands anschließt. Nackte Kinder mit braunen Bäuchen. Winken, Häuser auf Pfählen, wie in Kambodscha. Der Bruch zu Singapur konnte nicht härter ausfallen. Der blank geputzte Inselstaat, die Wolkenkratzerwände, nur noch Erinnerung, ein Ton dieser Reise, die noch keine Fanfarentöne kennt. Vielleicht wird er sie in Kuala Lumpur, der Hauptstadt, hören. Wie wird es Herrn P. in Malaysia ergehen? Würde er Ruhe, Gelassenheit finden, diesen Blütenstaub der Reisen.

 

Auch Malaysia hatte den Ehrgeiz, mit Wolkenkratzern zu beeindrucken. In P´s Kopf reiste das Bild der Doppeltürme in Kuala Lumpur mit, die Petronas Twin Towers. Als dieses Gebäude 2003 fertiggestellt war, gingen Fotos durch die Welt. Damals hatte Herr P. gedacht: Die musst du sehen. Jetzt würde er sie sehen. „Visit Malaysia“, warb es an Häuserwänden. Im gemächlichen Tempo polterte der Express Kuala Lumpur entgegen, der Hauptstadt Malaysias. Am Vormittag hatte er in Singapur ein tamilisches Heiligtum besucht. Vor dem Tempeleingang türmte sich eine Pyramide aus bunten Keramikgöttern. Im Inneren des Tempels roch es nach Essen. Der Tempel war leer. Nur eine zahnlose Frau, deren Gesicht Falten geformt hatten, hockte in einer Ecke, und eine Aufsichtsperson döste vor sich hin. Draußen Geräusche als würden Wasser, Staub und Wind vermischt. In Singapur strömte man offensichtlich nicht in die Tempel.

 

Der Schaffner erschien, ein mittelgroßer Mann, walnussbraunes rundes Gesicht, gekraustes Haar, ganz offensichtlich ein Malaye. Er trug ein himmelblaues Jackett, schwarze Hose und schwarze Schuhe. Herr P., der im Wagen Nummer 3, Sitz 4, Platz genommen hatte, reichte artig das Ticket. Der Schaffner warf einen Blick auf eine Liste, die er in der Hand hielt, machte einen Haken. P. war registriert, durfte mit dem Express nach KL fahren. Die Räder kollerten, die Abteiltür rollte auf und zu, das nervte.

 

Der Himmel verfinstere sich schnell. Erste schwere Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben. Die Landschaft versank in Grau. Über die riesigen Ölpalmenwälder, die über Hügel hinwegglitten, strichen tiefhängende Wolkenfetzen. Monokultur für Benzingewinnung in Europa, für Palmenöl, das billiger heranwuchs als Raps zum Beispiel. Verantwortungsloses Europa, Deutschland. Regenwälder werden abgeholzt, um der Aufforstung der Ölpalmen Platz zu machen, Bauern brutal vertrieben.

 

Es war dunkel, als die Petronas Türme aus dem Tiefblau hervortraten wie eine Theaterkulisse, ein Gefunkel aus Licht. Einfahrt in die Stadt. Hochstraßen wie Korsette, langgezogene Bauten, Hochhäuser, viel Beton. Die hohe Bahnhofshalle hell erleuchtet. Herr P. tauschte Geld, erhielt Ringgit, die Währung des Landes. Etwa 4,50 Ringgit gab es für einen Euro. Draußen warteten Taxen, zehn Ringgit bis zum Hotel Maja, das man ihm in Singapur gebucht hatte. Woher er käme, fragte der Taxifahrer. Herr P. ließ es ihn wissen. Der Mann lächelt freundlich. „Wir sind nicht so reich wie Singapur“, sagte er. „Es wäre besser gewesen, sie hätten zuerst Malaysia besucht, dann hätten sie die Unterschiede nicht so stark empfunden.“ Wie er für sein Land warb, gefiel Herrn P. Taxifahrer sind oft die ersten Botschafter ihrer Städte. Mit einer leichten Handbewegung wies er auf die Twin Towers, die nun deutlich zu sehen waren. „Das ist unser Stolz“, sagte er. „Die Welt hat nach Malaysia geschaut, als sie fertig waren.“

 

Das Hotel war ein Palast, kühl und unpersönlich. Eine riesige Halle, riesige Höhen, breite Treppen, schnelle Fahrstühle. Nun gut, er leistet es sich. Was wollte er in KL? Unerwartet überfiel ihn diese Frage, wie in Singapur. Herr P. kam sich verloren vor, als er im 11. Stock stand, in einem großen Zimmer, und auf die Betonungetüme schaute, die am dunklen Himmel kratzten. Das war das neue KL, das Banken- und Versicherungszentrum. Schon am nächsten Tag wird ihm ein chinesischer IT-Ingenieur, der als Spezialist in KL tätig war, sagen. „Man hat hier gebaut, als müsse man dem Teufel entkommen. Jetzt stehen zahlreiche Büro- und Geschäftskomoplexe fast leer, sinnlose Geldverschwendung, Baufieberwahn. Gibt es ihn auch in Deutschland?“

 

„Nicht so heftig und nicht so hoch.“ Selbst Frankfurts Türme fielen da bescheiden aus.

 

Kuala Lumpur, 8. November

 

Sehr heiß. Keine sieben Minuten zu Fuß bis zu den Doppeltürmen. Sie stachen in den Himmel wie Lanzen. Metall verkleidete sie, silbrig schimmerten sie unter dem blassblauen Himmel. Eine Brücke aus Stahl verband die beiden Türme in großer Höhe. Später las Herr P, dass die Brücke in 172 Meter Höhe die Türme verband. Dort wollte Herr P. hinauf. Aber die Karten waren für den Tag ausverkauft.

 

Langsam ging er durch die riesige Halle. Elegante Geschäfte. Die Läden quollen mit Waren aus aller Welt über, Cafés, Restaurants, eine Bildergalerie. Fahrstühle jagten hinauf und hinunter. 452 Meter hoch waren die Doppeltürme. Längere Zeit galten sie als die höchsten Bauwerke der Welt. Der malayische Ölkonzern Petronas hat sie bauen lassen, aus Stahl, Aluminium, Glas und Beton.

 

Herr P. spazierte durch die Stadtlandschaft. Etwas Grün gab es, Springbrunnen rauschten über Wasserflächen. In Südostasien drückte sich wirtschaftlicher Aufschwung in Höhen aus. Eine gewisse Ähnlichkeit zu Singapur war unübersehbar, aber luftiger, die Hochhäuser nicht gar so dicht aneinander gepresst. Auch in KL, stellte er fest, gab es im Zentrum kaum Vergangenheit, die in zurückliegende Jahrhunderte reichte, keine Stilepochen, keine engen Gassen, keine krummen Wege. Reißbrett-Architektur war entstanden, die dem rechten Winkel huldigte, den Horizontalen und Vertikalen. Zum Spazieren verlockte KL tatsächlich nicht. Es war heiß und laut, Fußwege brachen plötzlich ab. Brutal zerschnitten Hochstraßen die Stadt. Lange Wartezeiten an Ampeln. Ein unangenehmes Gefühl bedrängt ihn. Er fühlte sich fremd in der Stadt. Er stolpert durch die Stadt, ohne Halt zu finden. Drohte diese Reise in diesem November 2008 zu missraten, weil sie ihn nicht in Schwung versetzte?

 

Abends auf der Vergnügungsmeile, die nur einige hundert Meter vom Maja-Hotel entfernt begann. Mädchen aus Thailand, zarte Vietnamesinnen. Mädchen von den Philippinen. Sie boten sich diskret an. Das Abendessen war miserabel. Ein trockenes Hühnchen, dünnes Bier und ohrenbetäubender Lärm. Pommes und aufgewärmtes weißes Brot. Grausam. Da zog er sich jede Nudelsuppe aus Kübeln auf rollenden Wagen in Kambodscha vor. Eines war auffällig. In KL gab es keine Garküchen, keine Karren voll dampfender Töpfe, keine Tiegel, keine Obstverkäufer mit gefüllten Körben. Er flüchtete ins Hotel zurück. Aber es gab nicht Langweiligeres als ein Hotel in KL. Er schrieb auf, was ihn ärgerte, las 59 Seiten im „Der Turm“. Er hatte noch nie ein so durch und durch böses Buch gelesen, das Geschichte und Stimmungen verfälscht.

 

Kuala Lumpur, 9. November

 

Herr P. besuchte den Central Market. Er hatte ihn mit der Untergrundbahn in wenigen Minuten erreicht. Ein großes Eingangstor. 1848 wurde der Markt angelegt. Hier gab es so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Plunder aus aller Welt: Schlüpfer, Gewürze und Ledertaschen, Stoffe aller Art, kostbare Seide-Stoffe, Keramik, Gold und Silber, Früchte und Notizbücher, Schuhe, Parfüm, Säcke voller Reis, Früchte. Eine Wahrsagerin bedrängte ihn. Nein, Herr P. wollte nichts über seine Zukunft erfahren. Schon die Vorstellung, ihr die Hand zu reichen, richtete seine Nackenhaare auf. Hier hatte die Stadt eine Herkunft, hier zeigte sich das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. Balkone an Häusern, Stuck. Hier war im Gründerbaustil gebaut worden, hier kam etwas Wärme auf, Vertrautheit. Ja was denn, suchte er in KL Vertrautes?

 

Kuala Lumpur, 10. November

 

Am Vormittag Besuch des Nationalmuseums. Wie fast alle südostasiatischen Staaten geriet Malaysia in den Sog kolonialer Eroberung. Ein Araber segelte mit Vasco da Gama vom Indischen Ozean in die Straße von Malakka, die Meerenge. Damit begann der Wettlauf zu den begehrten Gewürzen. Den Portugiesen folgten die Holländer, den Holländern die Engländer. 1957 erreichte die malayische Halbinsel die Unabhängigkeit, 1963 wurde die Förderation Malaysia gegründet. Zu Beginn der 90er Jahre setzte eine rasante wirtschaftliche Entwicklung ein. Heute gehört Malaysia, das reich an Zink, Kautschuk, Palmenöl, Zinn ist, zu den Tigerstaaten.

 

Noch Mitte der siebziger Jahre gab es in KL kaum ein Hochhaus. Was entstand, wirkt wie angeklebt, großmannssüchtig. Man zeigte, dass man auch in Malaysia die hohe Schule der Statik beherrschte.

 

Nachmittag ein Gespräch in einer mittelständischen Vereinigung. Es ging um Geld, Verbindungen, Maschinenbau, um Exporte nach Europa. Er hatte einige Unternehmen im Sinn, die Mitglied des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft waren. Vielleicht ließ sich was anbahnen.

 

Herr P. wollte zur Altstadt, die es geben sollte. Sicher war er nicht, denn er hatte sich auf KL kaum vorbereitet. Er mochte es nicht, sich schon vor Reisen Wissen und Farben anzueignen. Das riss jede Spannung weg.

 

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In der Altstadt. maurische Architektur in KL: das Sultan-Abdul-Samad-Gebäude am Merdeka Square, 1894-1897 erbaut.

Herr P´s Suchen war erfolgreich. Er entdeckte ein altes Stück Kuala Lumpur, das Zinnsucher 1857 mitten im Busch gegründet hatten. Straßenzüge von islamischer Bauart geprägt, glasierte farbige Kuppeln. Beindruckend das Sultan Abdul Samad Building, Sitz des obersten Gerichts auf der Merdeka Square. Zinnen und maurische Bögen, schattige Gänge, Stufen. Ein Glockenturm. Ein Flüsschen, eingemauert, rann. Hier hatte KL´s Stadtgeschichte einen Anfang. Vielleicht, dachte Herr P., könnte das einen versöhnlichen Abschluss ergeben. Er setzte sich in ein Café, bestellte einen Tee. Eine japanische Reisegruppe trippelte über die Straße. Chinesen, Inder lebten in KL, das streng islamische Reinheit überwachte. Wer als Malaye geboren wurde, wurde automatisch dem Islam zugeschlagen. Ein späterer Austritt war fast unmöglich. Wer dies begehrte, konnte sogar gerichtlich bestraft werden. Eine Religionszugehörigkeit auf Zwang. Auch Mischehen waren unerwünscht. Wer gegen bestimmte Gesetze verstieß, konnten sogar mit dem Rohrstock geschlagen werden, in einer Technik, die schmerzen sollte und Narben hinterließ, dreimal, viermal. Gestern hatte ihm ein Inder erzählt, der mit kostbaren Seiden in fünfter Generation in KL handelt, dass die Malayen von den Behörden allen anderen vorgezogen würden, auch vor den Christen, die in KL lebten. Das sei Rassismus, hatte er böse behauptet, das sei Intoleranz höchster Ausprägung. „Es schwelt hier stark under cover. Ihr in Europa habt keine Ahnung davon, was sich hier entwickelt. Aktive Intoleranz. Die öffentlichen Bekenntnisse gewisser Politiker zur Demokratie sind eine Farce. Lassen sie sich nicht täuschen. Hier geht es sehr brutal zu.“

 

Auf dem Bürgersteig glitten haselnussbraune Gesichter vorbei, dann wieder ganz helle. Frauen unter Kopftüchern. Junge Leute in Jeans, die lachend über den Zebrastreifen tollten. Von einer nahen Moschee erklang der Ruf eines Muezzins, natürlich vom Tonband. Wie ein Teppich legte sich der Singsang - Allah ist groß - über das alte Kuala Lumpur. Eindringlicher konnte sich der Islam nicht in den Vordergrund drängen. Nein, KL schlug Herrn P. nicht in den Bann, umarmte ihn nicht mit Wärme, erzählte ihm wenig. Er schwang sich zu einer realistischen Sicht auf. Warum sollte ihn, den Fremden, die Stadt, in der er sich wenige Tage aufhielt, wärmend umarmen? Dafür hätte er mehr tun müssen. Das war ihm in Phnom Penh passiert, auch in Thailand. Aber die Twin Towers zu sehen, war ein Erlebnis, vor ihnen zu stehen, den Blick in die Höhe gleiten lassen, jeder Meter eine Ingenieur-und Bauleistung, das war beeindruckend. Morgen wird er nach George Town reisen, auf die Insel Penang. Und von dort aus nach Sumatra übersetzen. Er ließ sich ein Bier kommen. Der Fernsehturm auf dem Hügel blinkte. Der letzte Abend in KL lag vor ihm. Vielleicht würde er ihm etwas bringen.

 

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// Foto: Wikimedia.M.Konsek - Tempel in Kuala Lumpur

// Texte und Fotos: Reinhard Delau.